Optionen der Schweiz als Mitglied des UNO-Sicherheitsrates 2023/24
Alyn Ware, Andreas Nidecker
(Dies ist eine gekürzte Version. Das vollständige Papier ist im PDF-Format: Chancen für die Schweiz, atomare Risikominderung und Abrüstung für den Zeitraum 2023-2024 voranzubringen, und in englischer Sprache online oder im PDF-Format verfügbar ist).
Aufgrund des andauernden Krieges in Europa und den damit verbundenen Sicherheits- aspekten sollen Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie unser neutrales Land als Mitglied des UNO Sicherheitsrats (UN SR) Prioritäten setzen könnte. Als Autoren sind wir seit Jahrzehnt- en aktiv auf den Gebieten der nuklearen Abrüstung und der Friedenspolitik. Wie Viele sind wir über das momentan erhöhte Risiko für einen beabsichtigten Einsatz von Atomwaffen besorgt. Wir haben uns Gedanken gemacht und machen Vorschläge, die ev. Auswirkungen auf die Praxis der nuklear bewaffneten Staaten und ihren Verbündeten haben könnten. Dies in der Absicht, ev. damit auch zum weltweiten Verbot und zur Abschaffung der Atomwaffen beizutragen. Schwerpunktsmässig soll hier auf die multilateralen Prozesse im Kontext des Atomwaffen Verbotsvertrags (TPNW), des Nichtverbreitungsvertrags (NVV) und den Debat- ten im UN-SR eingegangen werden. Daneben existieren auch Optionen in anderen Foren.
Im Januar 2022 stellte das Bulletin der Atomwissenschaftler die Weltuntergangsuhr auf 100 Sekunden vor Mitternacht und wies damit auf das hohe existentielle Risiko hin, welches der Menschheit durch die globale Nuklearpolitik droht, neben dern anderen Megatrends wie dem Klimawandel und dem zunehmenden Nationalismus in einigen Nationen. Einen Monat später startete Russland die illegale Invasion der Ukraine, wobei seitens seiner Regierung vor einer Einmischung in diesen Konflikt gewarnt und dabei implizit auch eine nukleare Op- tion in Aussicht gestellt wurde, was gleichzeitig das Atomkriegsrisiko erhöht, aber auch die Anwendung von «nuklearem Zwang» in den internationalen Beziehungen anschaulich de- monstriert hat.
Initiativen zur Eindämmung der nuklearen Bedrohungen, inklusive dem ehrgeizigeren Fern- ziel der weltweiten Abschaffung von Atomwaffen, könnten u.E. in der Periode 2023/ 2024 durch die Schweiz in folgenden multilateralen Foren getroffen werden:
- Im UN SR
- An Treffen der Vertragsstaaten des Atomwaffen Verbotsvertrags (TPNW), sofern die Schweiz dem Vertrag beitritt
- An den beiden Vorbereitungstreffen 2023 und 2024 und der NVV-Ueberprüfungs- konferenz 2025
- An Tagungen des Menschrechtsrates
- An den geplanten «UN-Gipfeltreffen für nachhaltige Entwicklung (SDG)» (Sept 2023) und am «UN-Gipfel für die Zukunft» im August 2024
Im UN SR sitzen die Atommächte China, Frankreich Russland, das Vereinigte Königreich und die USA (P5) neben wechselnden anderen Nationen. Die Entscheidungen des UN SR sind für alle Mitgliedstaaten verbindlich. Ein Nachteil besteht im Vetorecht der P5, mit dem diese Resolutionen blockieren können, falls ihre Interessen beeinträchtigt werden. Die Beratungen des UNO SR können aber auch dann einflussreich sein, wenn Resolutionen nicht angenommen werden. Bspw im Fall der durch Russland blockierten Resolution zum illega- len Einmarsch in der Ukraine, die später von der UNO-Generalversammlung (UN GV) aber doch akzeptiert wurde. Die Wahl der Schweiz in den UN-SR bietet Gelegenheit, in den kom- menden zwei Jahren auf wichtige Sicherheitsfragen Einfluss zu nehmen, wie z. Bsp. Fragen und Vorschläge zur Reduzierung des nuklearen Risikos und zur Abrüstung vorzu bringen.
Vorschlag 1: Die Schweiz könnte sich im UN SR 2023 für die Verringerung nuklearer Risi- ken und die Verhütung von Atomkriegen einsetzen; im Januar 2022 publizierten die P5 im UN SR eine Erklärung zur Verhinderung eines Atomkriegs und zur Vermeidung eines Rüst- ung wettlaufs. Sie waren sich dann einig, dass «ein Atomkrieg nicht gewonnen werden kann und niemals geführt werden darf». Darauf folgte am 16. November 2022 eine Erklärung aller G20 Länder (einschliesslich der P5), in der bekräftigt wurde, dass «der Einsatz oder die Androhung des Einsatzes von Atomwaffen unzulässig ist». Die Schweiz könnte also die P5 und die übrigen 4 Atommächte (Indien, Pakistan, Israel und Nord-Korea) nachdrücklich auffordern, ihre Politik und Praxis mit ihren gemeinsamen Erklärungen und rechtlichen Verpflichtungen in Einklang zu bringen. Im Weiteren könnte im UN SR vorgeschlagen wer- den werden, dass alle Atommächte eine «No First Use» Politik als sicherheitsrelevant an- nehmen.
Vorschlag 2: Die Schweiz könnte im UN SR im Jahre 2024 eine Verpflichtung der P5 zur zeitlich begrenzten, weltweiten Abschaffung der Kernwaffen bspw. bis 2045, dem 100. Jahrestag der UN und einen Rahmen für die Erfüllung dieser Verpflichtung vorschlagen. An der NVV-Konferenz 2010 haben sich die Vertragsstaaten inkl. der P5 auf Folgendes geeinigt: «Alle Staaten müssen besondere Anstrengungen unternehmen, um den Rahmen zu schaf- fen, eine Welt ohne Atomwaffen zu erreichen. Dabei hat die Konferenz auch den 5-Punkte Vorschlag des UN-Generalsekretärs zur nuklearen Abrüstung zur Kenntnis genommen, in dem u. A. ein starkes Verifikationssystem vorgeschlagen wurde. Nichtnukleare Staaten hab- en grosse Anstrengungen unternommen, um dieser Verpflichtung nachzukommen, indem sie bspw. atomwaffenfreie Zonen (AWFZ) eingerichtet und den Vertrag über das Verbot von Atomwaffen ausgehandelt haben.
Der Atomwaffen Verbotsvertrag (TPNW) wurde 2017 von Nicht Atomwaffenstaaten ausgehandelt und trat im Januar 2020 in Kraft. 68 Staaten sind bisher dem Vertrag beige- treten, der den Vertragsstaaten verbietet Kernwaffen zu entwickeln, zu testen, zu erwer- ben, zu besitzen, zu lagern und einzusetzen oder mit ihrem Einsatz zu drohen. Er verbietet auch die Stationierung von Kernwaffen auf ihren jeweiligen Hoheitsgebieten. Die P5 und ihre Verbündeten und die übrigen Atomwaffenstaaten haben sind diesem nicht beigetreten, weshalb die vertraglich festgelegten Verpflichtungen für sie nicht gelten. Trotzdem ist der Vertrag ein starkes Symbol für die Ablehnung von Atomwaffen durch die Vertragsstaaten.
Das Eidg. Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) hat den TPNW nach seiner Verabschiedung 2017 geprüft, aber dann dargelegt, dass «aus heutiger Sicht die Argumente gegen einen Beitritt zum TPNW die Chancen eines Beitritts überwiegen». Momentan findet in Bern eine finale Überprüfung der TPNW statt und anfangs 2023 will der Bundesrat darü- ber entscheiden. Die Zivilgesellschaft und viele Parlamentarier haben in diesen Tagen ein- mal mehr den Bundesrat aufgefordert, den TPNW Vertrag zu unterzeichnen.
Bislang hat keiner der TPNW-Mitgliedsstaaten Massnahmen zur Umsetzung ihrer TPNW-Verpflichtungen, wie etwa ein Verbot der Finanzierung von Nuklearwaffen, ergriffen. Die Schweiz hat immerhin mit dem Kriegsmaterialgesetz von 2014 bereits gezeigt, dass es mög- lich ist, die nationale Finanzierung von Atomwaffen zu verbieten.
Vorschlag 3: Die Schweiz sollte u.E. dem TPNW beitreten und die Gelegenheit des zweiten Treffens der Vertragsstaaten in Mexiko nutzen, um andere Mitgliedsstaaten zu ermutigen, jegliche öffentliche Finanzierung von Atomwaffen zu beenden und ein Verbot der Durch- fuhr von Atomwaffen durch ihr Hoheitsgebiet zu erwägen.
Der Nichtverbreitungsvertrag (NVV) von Atomwaffen 2025 inkl. den beiden Vorbereitungstreffen enthält in Artikel VI die einzige vertragliche Verpflichtung für Kern- waffenstaaten (und ihre Verbündeten), eine umfassende nukleare Abrüstung anzustreben und zu erreichen. Diese Verpflichtung wird gem. Entscheid des Internationale Gerichtshofs 1996 durch Gewohnheitsrecht und durch den UN-Menschenrechtsausschuss 2018 bekräf-tigt. Die Überprüfungskonferenz des NVV inkl. der Vorbereitungstreffen bieten Nichtnukle- arstaaten die Option, ihren politischen Einfluss auf die P5 und ihre Verbündeten wahrzuneh- men. So hat bspw. die 8. Überprüfungskonferenz des NVV 2010 durch Annahme des von der Schweiz vorgeschlagenen Wortlauts über die katastrophalen humanitären Folgen des Ein- satzes von Atomwaffen ein Mandat für Internationale Konferenzen über die humanitären Folgen in Norwegen, Mexiko und Österreich geschaffen, was letztlich wiederum zur Unter- stützung des TPNW Vertrags beigetragen hat.- Auch an der 10. NVV Überprüfungkonferenz wurden Fortschritte in Bezug auf Maßnahmen zur Verringerung des nuklearen Risikos und die Bedeutung der Einhaltung des Völkerrechts erzielt und wiederum hat die Schweiz mit 16 Verbündeten Nationen eine führende Rolle im Rahmen der Stockholm-Initiative gespielt.
Vorschlag 4: Die Schweiz könnte eine aktive Rolle bei den Vorbereitungstreffen zur näch-sten NVV Überprüfungskonferenz 2023 übernehmen, indem sie die Vertragsstaaten des NVV auffordert, gemäss der Aussage, dass "ein Atomkrieg nicht gewonnen werden kann und daher niemals geführt werden darf", aktiv zu werden. Dies indem die zudem die Er- klärung der G20 bekräftigt wird, dass "der Einsatz oder die Androhung des Einsatzes von Atomwaffen unzulässig ist."
4. Die Ueberprüfungskonferenzen des Menschenrechtsrats 2018 bekräftigte der UN-Menschenrechtsausschuss, dass die Androhung oder der Einsatz von Atomwaffen mit dem Recht auf Leben unvereinbar ist und dass die Vertragsstaaten des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) verpflichtet sind, auf die Entwicklung, den Erwerb, die Lagerung und den Einsatz von Atomwaffen zu verzichten. Sie sind auch ver- pflichtet, bestehende Bestände zu vernichten und in gutem Glauben Verhandlungen zu füh-ren, um eine weltweite nukleare Abrüstung zu erreichen. Mit Ausnahme von China, sind alle Atomwaffenstaaten und ihre Verbündeten Vertragsparteien des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte. Der UN-Menschenrechtsrat überprüft regelmäßig, ob die UN Mitgliedsstaaten ihre Verpflichtungen, die sich aus den internationalen Menschenrechts normen ergeben, einhalten und umsetzen. Die Beteiligung an diesen Menschenrechts pro- zessen für die nukleare Abrüstung kann u.E. effektiv sein, da sie eine neue Dimension in die nukleare Abrüstungsdebatte einbringt, die von den Atomwaffen- und ihren Verbündeten nicht einfach abgetan werden kann. Die so gebildete neue Menschenrechtsgemeinschaft ist viel größer und einflussreicher als die Gemeinschaft der «Atomabschaffer». Das Basel Peace Office (und unsere Partner) haben diesen Prozess bereits genutzt, indem sie Eingaben für die entsprechenden periodischen Überprüfungen einer Reihe von Ländern, inkl. von Russ-l land, Frankreich, Südkorea, dem vereinigten König reich und den USA eingereicht haben.
Vorschlag 5: Die Schweiz könnte sich an den universellen periodischen Überprüfungen der nuklear bewaffneten und verbündeten Staaten beteiligen, um die Umsetzung ihrer völker- rechtlichen Verpflichtungen zu hinterfragen, auf die Androhung oder den Einsatz von Atomwaffen zu verzichten, bestehende Atomwaffenbestände zu vernichten und sich an Verhandlungen über die weltweite Abschaffung von Atomwaffen zu beteiligen.
5. Die UNO-Gipfeltreffen für nachhaltige Entwicklungsziele (SDGs) 2023 und für die Zukunft 2024
Die UNO GV wird im September 2023 ein Gipfeltreffen zu den nachhaltigen Entwicklungs- zielen (SDGs) und 2024 einen weiteren Gipfel zur Zukunft veranstalten. In einer umfass- enden Überprüfung des Stands der SDGs werden 2023 die Auswirkungen der vielfältigen, miteinander verknüpften Krisen, mit denen die Welt konfrontiert ist, erörtert werden und die politischen Leitlinien für transformative und beschleunigte Maßnahmen bis zur Frist 2030 für die Verwirklichung der SDGs vorgegeben. Dabei untergraben die Politik und Prak- tiken im Bereich der Nutzung der Kernenergie und Kernwaffen die Verwirklichung der SDGs in mehrfach er Hinsicht: Erstens durch ihre massiven finanziellen Aufwendungen in das nukleare Wett- rüsten. Zweitens durch die feindseligen internationalen Beziehungen, welche die erforderliche Zusammenarbeit für die Verwirklichung der SDGs erschweren.
Am Gipfeltreffen zur Zukunft im Jahre 2024 sollen gleichermassen Zukunftsfragen diskutiert und ein Zukunftspakt geschlossen werden. Es soll auch ein UN-Beauftragter für künftige Generationen eingesetzt werden. Die Schweiz erscheint besonders gut positioniert zu sein, um einen wichtigen Beitrag zu leisten, da sie im August 2024, dem Monat vor dem UNO Zukunftsgipfel den Vorsitz im UN SR inne haben wird.
VORSCHLAG 6 Die Schweiz könnte die Themen der nuklearen Risikominderung und Ab- rüs ung auf dem UNO-SDG-Gipfel thematisieren und insbesondere a) eine Reduktion der Nuklearwaffenbudgets und ein Ende der Investitionen in die Nuklearwaffenindustrie fordern, um Ressourcen für die Erreichung der SDGs freizusetzen, und b) das Ziel der Ab- schaffung von Nuklearwaffen in die SDGs für die Zeit nach 2030 (2030-2045) aufnehmen. Zudem könnte die Schweiz sich c) für die Vorbereitung des Zukunftsgipfels massgeblich einsetzen und auch im Rahmen des Zukunftspakts die Unannehmbarkeit der Androhung des Einsatzes von Atomwaffen bekräftigen und das Ziel ihrer weltweiten Abschaffung spätestens 2045, dem 100jährigen Bestehen der Vereinten Nationen, aufnehmen.
Zu den Autoren:
Alyn Ware, Direktor des Basel Peace Office (BPO), Experte und Erzieher in Friedenspolitik und nuklearer Abrüstung, Aktivist und Mehrfachgewinner internationaler Preise u.A. des Right Livelihood Awards (Alternativer Nobel Preis).
Andreas Nidecker Prof (em.) Dr. med., Radiologe, Präsident BPO und ehem. Präsident und Vorstandsmitglied IPPNW (Internatl. Physicians for the Prevention of Nuclear War, Friedens-nobelpreise 1985) Schweiz